Die Val Fex, das malerische Seitental bei Sils, ist vielen ein Begriff für ausgedehnte Spaziergänge, Biketouren, Fahrten in der Pferdekutsche oder gemütliche Runden in einem der Restaurants. Wer hier wohnt, schätzt die Ruhe, die verkehrsfreie Talstrasse und ist hier fest verwurzelt. Das Tal prägt seine Einwohner. Roger Rominger ist einer davon. Anfangs verlief sein Berufsleben in geordneten Bahnen: Als Bauernsohn schaute er dem Hufschmied immer wieder bei seiner Arbeit zu und entschloss sich irgendwann, selbst den Beruf des Schmieds zu lernen. Er mochte die schweisstreibende Arbeit mit dem glühenden Stahl, schuf und montierte hunderte von Bauteilen für Häuser und beschlug als Hufschmied Pferde. «Aber ich wollte nicht bis an mein Lebensende Treppengeländer und Fenstergitter schmieden», erinnert er sich. «Viel lieber wollte ich die Grenzen des Materials noch mehr ausloten, denn aus Stahl kann ein guter Schmied fast alles machen.» Das Haus in der Val Fex, in dem Rominger mit seiner Frau Martina und den beiden Kindern wohnt, ist einfach,aber sehr gemütlich. Abends setzt er sich draussen gern an ein offenes Feuer, sinniert über Gott weisswas und lässt sich von Ideen für neue Projekte überraschen. «Keine zwei meiner Messer sind gleich. Hinter jedem der Einzelstücke steckt eine Geschichte, die sehr oft hier in der Val Fex beginnt.» Dass Rominger (41) heute Messer schmiedet, hat mit einem Fernsehbeitrag aus dem Jahr 2007 zu tun, der die Arbeit eines Messerschmieds portraitierte. Schmied Rominger war fasziniert von der komplexen und präzisen Arbeit. «Der Gedanke, selbst Messer zu schmieden, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich es angehen sollte. Youtube gab es noch nicht und auch Bücher dazu hatte ich keine.»

Um aus rohem Stahl ein Messer zu fertigen, sind zahlreiche Arbeitsschritte nötig. Am Anfang legt Rominger je fünf Plättchen von zwei verschiedenen Stahllegierungen aufeinander. Es entsteht ein etwa faustgrosses Paket aus zehn Schichten. Rominger verschweisst sie an ihren Enden, und erhitzt das Paket in einem Gasofen auf rund 1’100 Grad. Dann beginnt er, es auf dem Amboss mit einem maschinellen Hammer zu bearbeiten. Immer und immer wieder schlägt der Hammer auf das glühende Paket aus Stahl; das Paket wird dabei flacher und immer länger. Es entsteht eine längliche Platte. Wenn sie etwa 1.5 cm dünn ist, schlägt Rominger eine Kerbe hinein und faltet sie. Nun liegt wieder ein Paket vor ihm, das er neu erhitzt und mit dem Hammer weiterbearbeitet. Durch die Faltung der ursprünglichen zehn Schichten, hat das Paket nun 20 Schichten. Der Vorgang wiederholt sich immer wieder, bis Rominger einen Rohling mit 300 oder mehr Schichten bearbeitet. Ist er fertig, wird der Rohling behutsamabgekühlt, damit der Stahl nicht spröde wird. Die Werkstatt, in der Rominger arbeitet, befindet sich in mehreren kleinen Räumen im Untergeschoss seines Hauses. Alles ist etwas verwinkelt und man merkt sofort, dass er hier allein zu Werke geht. Auf viele Gäste ist er nicht eingestellt und einen Showroom mit hübschen Glasvitrinen gibt es hier auch nicht. Aber man fühlt sich willkommen bei ihm und hört gern zu, wenn er über seine Leidenschaft für das Messerschmieden spricht. Der Rohling hat nun die Form eines Messers und wird anschliessend an der Bandschleifmaschine grob geschliffen. Dann kommt das Messer in einen speziellen Elektroofen für die Messerherstellung, in dem es mehrere Glüh- und Abkühlphasen durchläuft. In einem letzten Schritt wird das Messer auf 820 °C erhitzt und anschliessend in Öl abgeschreckt, um es zu härten. Nun darf das Messer nicht mehr zu heiss werden, da es sonst an Härte verliert. Deshalb wird es an einem 100-jährigen Nassschleifstein geschliffen. Der finale Schliff erfolgt dann trocken. Rominger holt sein erstes, einfaches Messer hervor. Robust sieht es aus und auch etwas rustikal; eine Verwandtschaft mit den feingeschliffenen, schlichten Schönheiten, die er heute herstellt, ist kaum noch zu erkennen. Raffinierter und präziser sind seine Messer über die Jahre geworden. An manchen der Einzelstücke arbeitet er bis zu zwei Wochen. Rominger ist bescheiden und dennoch stolz auf seinen Werdegang. «Jedes meiner Messer hat eine Seele. Früher verliebte ich mich förmlich in sie und brachte es fast nicht übers Herz, sie zu verkaufen.»

Nach dem Feinschliff kommt ein Arbeitsgang, der das Aussehen des Messers entscheidend beeinflusst: Der Rohling am Anfang des Schmiedeprozesses bestand aus verschiedenen Stahllegierungen. Durch die wiederholte Faltung sind mehr als 300 Schichten entstanden, von denen jede nur noch wenige Mikrometer dick sind. Rominger taucht die Klinge nun in eine Säure. Sie greift die unterschiedlichen Stahlsorten unterschiedlich an und verfärbt sie heller oder dunkler. Die Verfärbung ist abhängig vom Mangan- oder Nickelgehalt. Die Klinge erhält so ihre charakteristische Zeichnung. 2’000 Franken kosten die Fexer Messer von Roger Rominger im Durchschnitt. Zum Kochen sind sie fast zu schade. «Das überlasse ich jedem selbst. Es gibt Liebhaber, die sie in Vitrinen ausstellen und solche, die sie täglich in der Küche benutzen, sie aber pflegen wie ein Musikinstrument. » Zu Romingers Kunden gehören wohlhabende Gäste, Einheimische aus der Region, aber auch Sammler aus allen Teilen der Welt. Medienberichte und Empfehlungen von Kunden haben ihn und seine Messer weit über die Region hinaus bekannt gemacht. Reich wird er mit seinem Handwerk dennoch nicht; an jedem Stück arbeitet er 20 Stunden oder mehr. «Wir kommen durch, weil meine Frau ganztags arbeitet und auch der Bauernhof und unsere 30 Ziegen steuern etwas bei.» Dem Messer fehlt nun noch der Griff. «Ich arbeite meistens mit sehrharten Hölzern», sagt Rominger. «Eibe oder Nussholz, manchmal auch das harte Wüsteneisenholz aus Arizona.» Auch einheimische Hölzer wie die Lärche hat er schon verwendet. Die Rohlinge für die Griffe müssen zuerst mehrere Jahre in seiner Werkstatt trocknen, damit sie sich am Messer nicht mehr verziehen. «Zu einem perfekten Messer gehört auch ein perfekter Griff; er macht das Messer unverwechselbar. » Abends sitzt Roger Rominger mit Freunden draussen an seinem Feuer. «Berge, Wälder und Feuer», sinniert er. «Mehr brauche ich nicht, um zufrieden zu sein. Hier in der Val Fex habe ich alles, was ich brauche.»